(Thomas Schall, Mai 2017)
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Nachdem seit Jahren die Krise der Männlichkeit konstatiert wurde, ist heute bei genauem Hinsehen ein neues Männerbild im Entstehen. Dieses neue Selbstverständnis ist heute schon klar erkennbar und es ist positiv und gesellschaftlich produktiv. In diesem Essay skizziere ich es kurz und stelle es in seinen gesellschaftlichen Zusammenhang. Daran wird ersichtlich, dass dieses moderne Männerbild in aktuellen Gesellschaften zeitgemäß und zukunftsträchtig ist, während überkommene traditionelle Männlichkeitsideale in diesem Kontext dem Untergang geweiht sind.
Ich habe vor ein paar Tagen im Zug im Kopfhörer wieder einmal den Song "Neue Männer braucht das Land" der Ina Deter Band von 1982 gehört. Davon angeregt habe ich mir die Männer um mich herum im Zug angesehen und erkannt, dass die Lage jetzt, 35 Jahre später, anders ist, als es das Lied seinerzeit suggerierte. Die meisten Männer in dieser S-Bahn einer deutschen Metropole passten eigentlich wenig zu dem Männerbild, das damals als Realität dargestellt wurde, die überwunden werden müsse.
So mancher Wunsch, den Ina Deter formuliert, wird heute vielfach erfüllt, auch wenn sie in ihrem Text vor allem Ansprüche an die Beziehungstauglichkeit von Männern stellt. Tatsächlich sind die Forderungen eines aufgeklärten und fairen Feminismus freilich weitergehend, aber auch einiges von diesen umfassenderen Erwartungen kann heute wenigstens in Ansätzen als erledigt gelten. Im urbanen Bereich einer solchen deutschen Metropole wird, nachdem inzwischen jahrelang in beinahe allen Medien die Krise der Männlichkeit ausgerufen und beklagt wurde, ein neues Männerbild erkennbar. Natürlich ist es noch weder ständig überall präsent oder sichtbar, noch findet man bereits durchgängig - jedoch immer häufiger - alle zentralen Aspekte wieder.
Dieses neue Männerbild, das sich langsam zeigt, ist ein positives, und es ist eine Wendung der Vorstellung von Männlichkeit in eine Richtung, die sozial produktiv ist. Dieses Konzept, was männlich ist, besteht nur aus Elementen, die miteinander ein völlig konsistentes Bild ergeben. Da es sich auch nur um eine kleine Anzahl von Kernaspekten handelt, kann es auch gut dargestellt und vermittelt werden.
Die zentralen Aspekte dieses neuen Selbstverständnisses von Männern sind nach meiner Ansicht die folgenden:
Neben diesen wichtigsten Seiten gibt es noch weitere Aspekte bzw. Folgerungen aus diesem Selbstbild:
Interessanterweise können darauf auch sehr gut einige "alte" Tugenden aufgebaut werden, deren negative Seiteneffekte aber durch diese Motivation unterbunden werden:
Dagegen werden verbreitete, aber zweifelhafte Verhaltensweisen aus "alter" Männlichkeit konsequent verhindert:
Das bedeutet, dass sich mit diesen neu arrangierten Kernaspekten von Männlichkeit eben genau ein sozial positiv wirksames Bild für Männer gestalten lässt, das männliche Stärke neu definiert und gesellschaftlichen Nutzen erzielt.
Dieses neue Bild von Männlichkeit kann wegen seiner Stimmigkeit bereits Heranwachsenden vermittelt werden, ist aber generell für die Selbstsicht aller Männer hilfreich:
Natürlich lassen sich auf der Basis dieses neuen Männerbildes alle gesellschaftlich integrierten Rollenentwürfe unterfüttern und bleiben sozial akzeptabel, sogar hilfreich, solange sie die Werte umsetzen, die hier als Kernaspekte aufgezählt wurden.
Dieses Männerbild ist dabei aber kein Postulat, kein hehres Ziel, sondern es zeigt sich gerade im urbanen Umfeld heute häufig in seinen Teilaspekten, wenn man nur die Männer und ihr Verhalten ansieht. Es ist bzw. wird gerade Realität. Sicher ist auch noch das alte Männerbild äußerst prävalent, aber es befindet sich glücklicherweise und gezwungenermaßen auf dem Rückzug.
Zur Entstehung dieses modernen Selbstbilds von Männern hat nicht nur ein überzeugender und überzeugter Feminismus beigetragen, sondern auch noch viele andere gesellschaftliche Entwicklungen der letzten Jahrzehnte, die sich auch oft am deutlichsten wiederum im urbanen Bereich manifestieren.
Diese Entwicklungen haben aber auch die Gesellschaft insgesamt besser gemacht: offener, fairer und friedlicher. Deshalb kann es in niemandes Interesse sein, diese zurückzudrehen, auch wenn die Ablehnung bei rückwärtsgewandten Kräften heftig ausgeprägt ist, wohl aus Verunsicherung. Für das traditionelle männliche Rollenbild stellen sie auch eine existentielle Herausforderung dar. Folglich mag diese soziale Evolution zusammen mit allen ihren Tendenzen zur Krise der Männlichkeit geführt haben, die seit der Jahrtausendwende ausgerufen wurde. Doch inzwischen entsteht daraus Neues, Positives, auch für die Selbstwahrnehmung des Mannes. Im Gegenzug wird sich parallel auch ein starkes neues Frauenbild als Komplement entwickeln, das sich nicht mehr im Vergleich der Möglichkeiten und Verhaltensweisen mit dem alten, antiquierten Männerbild aufstellen muss. Es ist also angesichts der momentanen Lage davon auszugehen, dass es nur noch eine Frage der Zeit ist, bis sich wieder neue, stabile und gesamtgesellschaftlich positive Geschlechterrollen für Mann und Frau herausbilden. Allerdings werden auch noch lange solche Männer, die in einem verkrusteten antiquierten Selbstbild verhaftet sind, ihre Ablehnung laut kundtun, gegen diese Veränderungen aufbegehren und versuchen, ihre selbstgerechten und rückwärtsgewandten Vorstellungen zu Lasten anderer zu zelebrieren. Viele rechtliche und politische Detailfragen mögen während dieser Entwicklung noch geraume Zeit ungeklärt bleiben, aber heute kann man trotzdem guten Gewissens auf Ina Deters jahrzehntealtes "Neue Männer braucht das Land" entgegnen:
Das Land kriegt sie. Und Frauen auch. Ganz Europa und weiter.
Anmerkung 1: Das soll freilich nicht im Umkehrschluss bedeuten, Frauen sollten nicht selbständig und unabhängig sein! ↩
Anmerkung 2: Aktuell gibt es global leider auch starke Tendenzen, welche die Kommerzialisierung des Informationsverkehrs weit über die Grenzen bürgerlicher Freiheiten und demokratischer Grenzen hinaus zum Schaden der Gesellschaften auszudehnen versuchen. ↩
Anmerkung 3: Diese Haltlosigkeit verunsichert gerade die aus moderner Sicht nicht ausreichend gefestigten Individuen, die in starren, meist lokal beschränkten und uniformen Traditionen verhaftet sind. Diese sind aber im Kontakt mit der Moderne durch das entstehende Spannungsfeld emotional verunsichert und aufgewühlt. Daher ist bei ihnen ist die Feindschaft gegen die Moderne am größten. ↩