Ich habe es nicht besonders eilig heute, denn mit meinem Schnupfenschonprogramm ist der Tag nicht besonders voll. Also geht es erst nach neun los, als ich nach dem Frühstück auf der Terrasse etwas Travelblog geschrieben habe. Ich fahre auch nur ein kleines Stück auf die andere Talseite nach Marling, wo ich kurz nach halb zehn das Auto im Zentrum parke. Den Parkschein löse ich für vier Stunden und los geht's.
Als ich die Abzweigung zweihundert Meter weiter erreiche, geht es auch ganz schnell recht ordentlich den Berg hoch. Das stresst zwar etwas, aber da es eher in den Waden zieht, als dass mein Kreislauf meckert, sehe ich es als gutes Zeichen, dass mich der Schnupfen schon weniger beeinträchtigt. Ziemlich fix bin ich über dem Ort auf dem Marlinger Waalweg und gehe dann in Richtung Süden auf Lana zu. Das geht wegen des Waals sehr gemütlich dahin.
Dieser kleine, aber lange künstliche Bewässerungskanal verläuft über 14 Kilometer mit minimalem Gefälle am Hang entlang und der Weg begleitet ihn. Meistens jedenfalls, denn manchmal ist der Waal nicht nur abgedeckt, sondern einmal geht er durch einen Tunnel, bei dem der Wanderweg den kleinen Bergrücken umgeht. Auf dem Teil, den ich gehe, ist er teilweise zum Waldlehrpfad ausgebaut und man hat immer wieder spektakuläre Blicke, übers Tal nach Meran, das Tal hinunter Richtung Lana und Bozen, auf eine Burg, die etwas weiter oben am Hang thront, oder einfach nur auf die Weinberge und Obstgärten. Mal geht es spektakulär eng am Fels entlang, mal unter einem Dach aus Weinreben hindurch, einfach nur durch den Wald oder eben durch die Weinberge und Apfelplantagen am Hang. Fast immer plätschert das Wasser neben einem, mehr als einmal bekommt das Wasser im Waal auch seine eigene Brücke über einen zu Tal fallenden Wildbach.
Völlig willkürlich drehe ich an einer Stelle um, an der der Waalweg eine kleine Straße kreuzt. Am Rückweg ist auch die Bettlerin weg, die an Hinweg an einer Stelle andere Wanderer angebettelt hat. Vermutlich hat die Betreiberin des Imbisses zwanzig Meter weiter sie verscheucht, als der Imbiss geöffnet hat. Ich gehe bis zu der Stelle, an der ich aufgestiegen war und noch ein kleines bisschen weiter zu einer Buschenschänke. Die würde mir unglaublich gut gefallen, aber wegen der Mittagszeit gibt es eine Schlange an der Theke und alle Tische sind besetzt. Das ist mir grad zu viel Betrieb und ich steige ab nach Marling zu meinem Auto. Auch da gefällt mir keine Einkehr, also fahre ich Viertel vor eins wieder los. Da habe ich doch glatt fünfzig Minuten zu viel bezahlt, aber das kann ich bei einer Parkgebühr von einem Euro gut verschmerzen.
Mein nächstes Ziel soll die kleine Kapelle St. Prokulus am Rand von Naturns im unteren Vinschgau sein. Also durch die Weinberge langsam auf die Reschenpassstraße. Da darf ich aber nur rechts zurück Richtung Meran abbiegen und muss eine etwas ausgedehnte, aber sehr gut ausgeschilderte Wende nehmen, um in meine Richtung zu fahren. Ich komme auch in Forst am Stammhaus der Forst-Brauerei vorbei, die sich da ein großes Gebäude gegönnt hat, das aber irgendwie doch nicht ganz unpassend ist. Bei Naturns gerate ich wegen einer weniger geschickten Ausschilderung in den Umgehungstunnel und muss mich dem Ort von hinten nähern. Das ist blöd, denn eigentlich liegt St. Prokulus am Rand in Richtung Meran. Ich darf also einmal durch den Ort. Gegen Ende gibt es auch einen Wegweiser, ich biege ab, aber dann kommt nichts mehr. Ich lande einfach wieder in der Ortsmitte. Also schau ich auf meine Handywanderkarte, nachdem ich auf dem Parkplatz an der beschilderten Abzweigung angehalten habe. Da bleibe ich dann auch stehen, denn die Kapelle ist nur hundertfünfzig Meter weit weg. Und am Weg sehe ich auch, dass alle weiteren Hinweise verdeckt sind vom Reisebus einer österreichischen Radfahrer-Reisegruppe, die alle auf der Zufahrt ausgiebig und ganz entspannt Mittagspause machen.
Ich gehe zum Eingang und meine Erwartung wird erfüllt: Wie das zugehörige Museum hat auch die Kapelle am Montag geschlossen. Interessanterweise ist ein Teil der Fresken, für die sie berühmt ist, an der Außenmauer und ich kann sie wenigstens ein bisschen erspähen. Ich bin davon nicht allzu überrascht, weiß jetzt aber, dass ich an anderen Wochentagen bessere Chancen habe, wenigstens, wenn ich nicht zur Mittagszeit wie heute komme. Da ist sie nämlich auch zu.
Es geht also weiter zu meinem nächsten Programmpunkt: nach Partschins ins Schreibmaschinenmuseum. Ich parke im örtlichen Parkhaus, netterweise umsonst, und suche das Museum. Zuerst habe ich am Platz oberhalb der Kirche Tomaten auf den Augen, aber nach der Rückversicherung auf der Handykarte stehe ich ich davor. Es ist am Montag geöffnet, aber erst ab 14:00 Uhr. Ich bin eine Viertelstunde zu früh. In zweihundert Metern Entfernung ist das Cafe des Dorfs und dort bekomme ich auch ein alkoholfreies Weissbier, um mir die Wartezeit zu versüßen. Ich hatte gerade keine Lust auf ein Eis, auch wenn die Eisbecher sehr attraktiv aussehen.
Das Museum hat nach dem Bier auch auf. Es ist in diesem Bergdorf, weil hier der (oder einer der) Erfinder der Typenhebelschreibmaschine gelebt hat. Das Museum zeigt neben der Geschichte des Ortes, in die der Erfinder eingeordnet wird, und zwei Modellen seiner Maschinen - er hat nur fünf Exemplare gebaut und eines ist verschollen - vor allem frühe Schreibmaschinen von 1870 bis in die Zwanziger Jahre. Ein paar Sonderformen wie Kinderspielzeugexemplare und Stenographiermaschinen runden die Sammlung mit einigen neueren Exponaten inklusive der ersten elektrischen Schreibmaschinen ab. Im Keller darf man sogar unbeaufsichtigt ins Archiv mit weiteren Maschinen gehen. Es ist beeindruckend, wie groß die Vielfalt der technischen Lösungen war und wie manche nur geschaffen wurden, um Patente zu umgehen. Es ist aber auch sehr schön erkennbar, dass sich im Laufe der Jahrzehnte so ein aus dem Nichts auftauchender, lukrativer Markt auch technisch konsolidiert. Wenn man die Historie des Personal Computing etwas kennt, sieht man, dass es dort in den Siebziger bis Neunziger Jahren im Wesentlichen gleich ablief, es ist also keine isolierte Entwicklung, die man in diesem Museum sehen kann. Ich habe das sehr genossen, so sehr, dass ich beim Hinausgehen noch ein paar Minuten mit der Dame an der Kasse gesprochen habe. Ich fand es etwas schade, dass ich der einzige Gast zu dieser Zeit war. Sie erzählte mir, dass sie eben eine E-Mail beantworte, in der sie eine Spende einer Reiseschreibmaschine aus den Dreißigern angeboten bekam. Diese wäre sonst entsorgt worden.
Nach dem Museum gönne ich mir noch einen Überraschungsprogrammpunkt: den Wasserfall von Partschins. Ich hatte ihn schon daheim auf der Karte lokalisiert und auch bei der Anfahrt aus der Ferne gesehen, dachte aber, er wäre nur mit einer anstrengenden Wanderung zu erreichen. Straßenschilder in Partschins belehrten mich eines Besseren. Also fuhr ich diese Straße hoch, mit Sicherheit die steilste auf der ganzen Reise. Hinter dem Gasthaus Birkenwald gibt es öffentliche Parkplätze und vor dort kann man in etwa fünfzehn Minuten zum Fuß der Fälle wandern. Und dort bieten sie einem atemberaubende Anblicke mit einer Höhe irgendwo über fünfzig Metern und einem ansehnlichen Wildbach, der diese Wand hinunterstürzt. Ein wirklich beeindruckender Ort, der gut zu erreichen ist, wenn man keine Angst vor echten Bergstraßen hat. Bei der Fahrt zurück in den Ort gab es ein Schild, das 25% Gefälle anzeigte, das schien mir aber gar nicht der steilste Abschnitt zu sein. Man muss nicht dazu sagen, dass diese Straße meistens einspurig ist und so manche nicht einzusehende Kurve bietet. Amerikanische Flachland-Automatik-Fahrer werden diese Straße nicht schaffen.
Ich schon, deswegen kam ich da auch ganz locker und entspannt wieder runter und fuhr zurück nach Meran ins Hotel. Eine kleine Runde Schwimmen, ausgiebig am Travelblog schreiben und schon war es wieder Zeit, in die Stadt zu gehen für ein Abendessen. Da kreisel ich ein wenig herum, bis ich mich für eine Pizzeria und Eisdiele an der Kurpromenade entlang der Passer entscheide. Es gibt eine Pizza Dolomiti: eine echte Männerpizza, mit Schinken, Speck, Salami und Zwiebeln, fast etwas zu großzügig belegt. Sie ist lecker und auch der Minz-Slushy danach ist in Ordnung. Ich bin trotzdem beim Trinkgeld nicht allzu großzügig, denn das alkoholfreie Weizen war warm. Daher lässt die Kellnerin es mich auch bei Bezahlen spüren, dass sie gerne mehr bekommen hätte. Ich gehe jedenfalls satt und entspannt ins Hotel zurück, wo noch genug Zeit ist, am Travelblog zu schreiben.